Leitlinien des Auswärtigen Amts machen Familiennachzug mit Geschwistern faktisch unmöglich
Mitteilung: PRO ASYL
Mit dem Runderlass vom 20. März 2017 hat das Auswärtige Amt die Grundlagen für den Familiennachzug zu unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen weiter spezifiziert. Im Ergebnis lässt sich feststellen: Die restriktiven Bedingungen machen einen Nachzug von Familien mit Kindern zu in Deutschland lebenden, anerkannten Flüchtlingen so gut wie unmöglich. Unter anderem legt der Erlass fest:
- Geschwister von in Deutschland anerkannten minderjährigen Flüchtlingen können ein Visum zum Familiennachzug nach §32 AufenthG grundsätzlich nur erreichen, wenn die Eltern nachweisen können, dass in Deutschland ausreichender Wohnraum zur Verfügung steht.
- Zusätzlich müssen die Eltern den Lebensunterhalt für sich und die nachziehenden Kinder sichern können. Nur wenn ein sog. »atypischer Fall« vorliegt, soll »ausnahmsweise« davon abgesehen werden. Geprüft werden soll z.B., ob Kinder bei Verwandten oder in Flüchtlingslagern zurückbleiben können, oder ob ein Familienmitglied bei den Kindern zurückbleibt. Die Trennung der Eltern oder von Eltern und Kindern hält das Auswärtige Amt grundsätzlich für zumutbar.
- Wenn ein in Deutschland anerkanntes Kind innerhalb von 90 Tagen volljährig wird, soll die Erteilung eines Visums für Geschwisterkinder ausgeschlossen sein.
- Darüber hinaus soll ein Geschwisternachzug gemäß §36 Abs. 2 AufenthG in Betracht kommen, wenn eine sog. »außergewöhnliche Härte« vorliegt. Diese sei aber »stets familienbezogen« und ergebe sich »explizit aus der Trennung der Geschwister«. Nach Auffassung des AA stellt weder die Trennung von den Eltern eine »außergewöhnliche Härte« dar noch »die sich aus dem Leben in einem Kriegs- oder Krisengebiet ergebende Härte«. Auch bei Vorliegen einer »außergewöhnlichen Härte« sei im Übrigen die Lebensunterhaltssicherung zu verlangen, sofern kein »atypischer Fall« vorliege.
- Für Flüchtlingskinder, denen keine Flüchtlingsanerkennung, sondern nur »subsidiärer Schutz« zugebilligt werden soll, verweist das Auswärtige Amt auf die Möglichkeit einer Aufnahme gemäß § 22 AufenthG. Entsprechende Anträge zur Begründung einer »humanitären Notlage« sollen direkt vom Auswärtigen Amt bearbeitet werden. Laut dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Kauder gebe es inzwischen 49 Fälle, die bearbeitet werden.
Statt die gesetzlichen Lücken beim Familiennachzug zu schließen, baut das Auswärtige Amt mit diesem Erlass weitere Hürden auf. Es erscheint schon nahezu unmöglich, dass für die Eltern und Geschwister eines in Deutschland lebenden Flüchtlingskindes »ausreichender Wohnraum« nachgewiesen wird. Auch ein Absehen von der Lebensunterhaltssicherung soll, obwohl rechtlich möglich, nur im Ausnahmefall möglich sein. Die Härtefallklauseln zur Ermöglichung eines Familiennachzugs nach §36 Abs. und §22 AufenthG sind so restriktiv gefasst, dass ein Familiennachzug nur in wenigen Ausnahmefällen aussichtsreich erscheint. Familien mit Kindern haben auch weiterhin nur geringe Chancen, im Wege des Familiennachzugs zu ihrem in Deutschland als Flüchtling anerkannten Kind nachzuziehen.
Während das niedersächsische Innenministerium sich für eine Verbesserung dieser Situation stark macht und beim Bundesinnenministerium für eine humane Lösung beim Familiennachzug zu UMF im Rahmen einer Gesetzesinitiative (Verzicht auf einen Wohnraumnachweis) wirbt, damit den Familien eine weitere Trennung erspart bleibt, insistiert die Bundesregierung auf ihrem harten Kurs. Welche Folgen dies hat, macht das nachfolgende Praxisbeispiel deutlich:
Die Eltern zweier jugendlicher Flüchtlinge aus Syrien (19 und 16 Jahre alt) bekommen Visa zum Familiennachzug, ihre jüngeren Geschwister (10 und 8 Jahre alt) müssen in Ankara bleiben.
Zwei Jugendlichen aus Syrien (19 und 16 Jahre alt), die in Deutschland bereits als Flüchtlinge anerkannt sind, wird von der Deutschen Botschaft in Ankara ein Zusammenleben mit ihren jüngeren Geschwistern verwehrt. Den Eltern der Kinder werden Visa zum Nachzug zu ihrer 16-jährigen Tochter in Deutschland gewährt; allerdings müssen sie ihre beiden kleineren Kinder (10 und 8 Jahre alt) in Ankara zurücklassen. Eine außergewöhnliche Härte, so die Botschaft, läge für die Familie deshalb nicht vor.
Die Ablehnung wird unter anderem damit begründet, dass die bereits in Deutschland lebenden Jugendlichen keinen ausreichenden Wohnraum und Unterhalt für ihre jüngeren Geschwister sicherstellen könnten. Wörtlich heißt es in dem Bescheid der Botschaft:
»Soweit Ermessen eröffnet war, wurde dieses zu Ihren Ungunsten ausgeübt. Der Antrag muss daher abgelehnt werden.«
Die Eltern sehen sich vor die Alternative gestellt, sich für ein Zusammenleben mit ihren älteren oder ihren jüngeren Kindern entscheiden zu müssen. Zudem müssen sie schnell entscheiden, da die erteilten Visa nur für einen Monat gültig sind. In letzter Minute entscheiden sich die Eltern, ihre kleinen Kinder in Ankara bei Verwandten zurückzulassen und das Visum zu nutzen.
In Deutschland stellen die Eltern unverzüglich nach ihrer Einreise einen Asylantrag und werden schon nach vier Monaten als Flüchtlinge anerkannt. Das Verfahren verläuft erstaunlich schnell – andere Flüchtlinge warten jahrelang auf eine Entscheidung. Nun erst können sie für ihre bei Verwandten zurückgelassenen 8- und 10- jährigen Kinder bei der deutschen Botschaft ein Visum zum Familiennachzug beantragen.
Die seit fünf Monaten ohne ihre Eltern in Ankara ausharrenden Kinder hoffen darauf, dass ihren Eltern bei der Botschaft schnell ein Termin eingeräumt wird. Der am 6. März 2017 gestellte Antrag wurde bis heute nicht beantwortet. Die durchschnittliche Wartezeit für einen Termin bei der deutschen Botschaft in Ankara beträgt 7 – 9 Monate. Wegen der »hohen Nachfrage nach Terminen« sollen »Alleinreisende minderjährige Kinder unter 14 Jahren (unabhängig davon, ob diese sich bereits in Deutschland befinden oder zu
ihren Angehörigen nachziehen möchten)« aber einen »Sondertermin« erhalten können (siehe Hinweis der Botschaft).
So begrüßenswert diese Sensibilität der Botschaft für die Nöte der in der Türkei ohne ihre Eltern zurückgebliebenen Kinder ist – man hätte sich gewünscht, dass es gar nicht erst zu der Familientrennung hätte kommen müssen.
PM v. 31.3.2017
www.proasyl.de